Samstag, 28. August 2021

Leseprobe "Ainaras Magie" aus dem Roman-Projekt "Salina - die Jaguar-Kriegerin"


 Hola Amigos, hier ist mal wieder eure Salina.

Ich hab eine Leseprobe aus dem Roman

"Salina - die Jaguar-Kriegerin"

geklaut, an dem der Patron gerade arbeitet.

Viel Spass!

Und vielen Dank an Karin Baumann dafür, dass sie mich so toll illustriert hat!



»Will mir nicht mal ... jemand helfen, verdammte Scheiße?«
     Wie vom Blitz getroffen zucke ich zusammen, wirble herum und starre zum Unterstand. Zwei Hände krallen sich von innen um den Rand des Brunnens.
     »Beim Schöpfer!«, schreit Ricarda, stürmt zu dem steinernen Wasserbecken und packt die zitternden Hände, die verzweifelt Halt suchen. Ich bin sofort neben ihr, greife nach den Armen und zusammen ziehen wir Ainara aus dem Brunnen heraus. Ricarda umschlingt den platschnassen Körper der Frau, deren Knie vor Erschöpfung einknicken, und redet beruhigend, wie zu einem Kind, auf sie ein. Beide sind jetzt völlig durchnässt und Ricarda stützt Ainara, damit diese nicht zusammensackt. Die hüftlangen schwarzen Haare kleben an ihrem schlanken Körper, ihre roten Strähnen glänzen wie dämonische Feuerzungen.
     Ich trete an sie heran, lege meine Arme um ihre Schultern und ziehe sie zu mir. »Der Seya sei Dank, du lebst!«
     Inzwischen steht auch Sandro bei uns, der Ainara prüfend betrachtet und dabei die Stirn in Falten legt. »Alles klar bei dir?«
     »Bin okay«, antwortet sie knapp, löst sich dann aus unserer Umarmung und sieht sich um. Ihr Blick schweift über die vielen toten Körper vor uns. »Zum Henker, wart ihr das?«
     »Jepp.« Ich grinse. »Sind alle hinüber.«
     »Warst du die ganze Zeit über in dem Brunnen?« Sandro sieht die Frau nachdenklich an. »Ich meine im Wasser? Bewusstlos?«
     Er hat recht. Kam mir noch gar nicht in den Sinn. Liegt sicher an der Freude darüber, dass sie lebt und wohlauf ist. Ich meine, ein Jaguar-Krieger kann sehr lange unter Wasser bleiben, ohne zu atmen. Haben wir trainiert. Aber so lange? Und bewusstlos? Denn das war sie doch, als der Typ sie in den Brunnen geworfen hat. Oder nicht? Ich beobachte Ainara von der Seite und frage mich, wie sie das angestellt hat. Die Kämpfe haben länger als eine halbe Stunde gedauert.
     Die Frau bejaht die Frage sehr knapp. Mehr nicht. Einfach so, wie nebenbei.
     »Wie kann man das überleben?« Sandros Gesichtszüge lassen seine Zweifel erkennen. Offenbar ist ihm die Sache nicht ganz geheuer.
     »Ich sterbe nicht so schnell.«
     Okay, okay, das hätte ich jetzt auch gesagt. Ich schnaube.
     Ricarda sieht mich an und zieht eine Augenbraue in die Höhe. Dann wendet sie sich an Ainara. »Was passiert eigentlich, wenn dir jemand im Kampf mit einem Schwert die Rübe abhaut?«
     »Was soll dann sein?« Falten legen sich auf ihre Stirn. Sie greift in ihre langen Haare, legt sie sich über die rechte Schulter und drückt das Wasser aus ihnen heraus. Dabei sieht sie Ricarda an und antwortet trocken: »Dann bin ich tot!«
     »Bist du sicher?«
     Ich verdrehe die Augen und stoße den Atem geräuschvoll aus. Ja, klar. Auf die Frage hab ich jetzt gewartet. Ehrlich.
     Ricarda geht an Sandro vorbei und flüstert ihm zu: »Irgendwas verbirgt sie.« Dann betrachtet sie die leblosen Männerkörper. Einen nach dem anderen.
     Auf einmal wirkt sie auf mich ... weiß nicht. Bedrückt? Ich kenne sie, seit wir als kleine Mädchen beim Camilo-Clan unsere Ausbildung begonnen hatten. Zuerst als angehende Clan-Krieger, später dann in der weiterführenden Spezialausbildung zu Jaguar-Kriegern. Ich kenne sie ebenso gut wie mich selbst. Meine Blutsschwester, meine hermacarna! Ich gehe zu ihr, streiche ihr über den Kopf und frage: »Ricky, was hast du?« Ihr Gesichtsausdruck hat sich verfinstert.
     »Das hätte so nicht passieren dürfen!«
     »Der Kampf?«
Sie sieht mich an und ihre dunklen Augen glänzen. »Sie hatten es viel zu leicht mit uns!«
     Ich lege den Kopf schräg. »Meinst du?« Dann nicke ich in Richtung der Leichen. »Die sind tot. Die würden dir wohl widersprechen, wenn sie könnten.«
     »Wir sind Jaguar-Krieger, die nicht! Wir haben zu viert die Neun kalt gemacht. Okay.« Erneut blickt sie zu den toten Männern und schweigt eine Weile, ehe sie fortfährt: »Es hätte uns trotzdem leichter fallen müssen.« Sie hebt den Kopf und sieht mir fest in die Augen, um mir zu bedeuten, wie ernst es ihr ist.
     Sie hat recht. Keiner von uns hat mit der Überlegenheit gekämpft, die man hätte erwarten können. Doch das allein ist es nicht. Ich lege meine Hand auf ihre Schulter und frage mit sanfter Stimme: »Ist es, weil der Kerl dich so in die Mangel genommen hat?«
     Die Bilder von ihrem Kampf flackern vor mir auf. Wie ihr Gegner sie in seinen Beinen fast zermalmt hätte und sie sich nicht wehren konnte. 
     »Sandro und mir ging es nicht anders.«
     »Es hätte nicht soweit kommen dürfen!«, erwidert sie hartnäckig und senkt den Kopf. »Wir hatten völlig die Kontrolle über die Situation verloren. Casi nos ganan. Sie hätten uns töten können.«
     »Wir leben noch«, sage ich sanft und greife in ihren Nacken, drücke ihre Stirn an die meine. »Es ist uns zum Glück jetzt passiert, Ricky. Wären es Jaguar-Krieger gewesen, würden wir dieses Gespräch vielleicht nicht führen. Aber das nächste mal sind wir besser vorbereitet.«
     Es ist nicht ihre Art. Sie denkt selten an vergangene Kämpfe zurück. Und Niederlagen oder … na ja, so dramatische Kampfverläufe, bringen sie nie so aus dem Gleichgewicht.
     Dann hebe ich den Kopf und sehe ihr in die Augen. »Es sind die Turnier-Kämpfe. Wir sind noch nicht wieder ganz fit. Die letzten Tage waren für uns drei echt hart. Aber hey …«, ich greife mit der linken Hand die ihre und drücke meinen Unterarm an ihren Unterarm. Anschließend verschränken wir unsere Finger ineinander. »Im Kampf und im Leben – gemeinsam für immer!«
     Ricarda stößt ein knappes Lachen aus, zögert, doch dann wiederholt sie unseren Blutsschwestern-Schwur. Und plötzlich werden unsere Hände von vier weiteren umschlossen. Ainara und Sandro stehen jetzt neben uns.
     Ich sehe, wie sich in Ricardas sonst meist recht lebhaft blitzenden Augen Tränen der Rührung bilden. Ich nehme sie in den Arm und küsse sie. Die Wärme ihres Körpers erregt mich. Spüre das Pochen ihres Herzens, das den Gleichklang mit meinem eigenen sucht.
     Meine Ricky!
     Irgendwann gebe ich Ricarda frei, worauf sie auf einmal den Kopf senkt und die Männerleiche vor uns betrachtet. Sie hebt ihr rechtes Bein leicht an, streckt den Fuß durch und tippt mehrmals mit den Zehen gegen die Schulter des auf der Seite liegenden Mannes. Als wolle sie testen, ob der wirklich tot ist. Dann stupst sie ihn auf den Rücken. Sein Hals ist unnatürlich verrenkt und sein Gesicht blutverschmiert von der Blutlache, in dem es lag. Okay, richtig tot. Mausetot. Es muss der Kerl sein, der Ricarda vorhin so in der Mangel hatte. Und dem sie am Ende in ihrem eigenen Schenkel-Schraubstock das Genick gebrochen hat. Ricarda legt den Kopf schräg und betrachtet ihn mit gerunzelter Stirn. Plötzlich wirft sie den Kopf ruckartig zur Seite und schließt die Augen.
     »Neun Gegner – neun sind tot?«
     »Ja … schätze ... klar«, stottere ich und sehe überrascht in ihr angespanntes Gesicht. Ihre Augen bleiben geschlossen. »Und?«
     Sandro hat sich neben die Männerleiche gekniet und hält ihren Oberkörper aufrecht. Auf der anderen Seite des Toten kniet Ainara, zieht einen ihrer Dolche aus dem Beinhalfter, führt die scharfe Klinge über die Brust der Leiche und ritzt sie auf. Nun legt sie ihre Hand auf die Wunde und schließt die Augen. Eine Weile verharrt sie so, doch dann fängt sie auf einmal an zu brummen.
     Verdattert starre ich sie an, bevor ich mich zu Ricarda drehe. Meine hermacarna zuckt mit den Achseln und schüttelt den Kopf. Anschließend gibt sie wie ein kleines Kind ein genervtes »Pfff« von sich. Doch da ich sie weiter ansehe, grummelt sie: »Was weiß ich!«, und wendet sich ab.
     Nun hebt Ainara ihren Kopf und sagt, die Augen immer noch geschlossen: »Die hier haben uns nicht aus freiem Willen heraus angegriffen. Ich spüre ihre Empfangsmagie. Nur noch schwach, da ihre Lebensenergie erloschen ist. Aber sie ist noch in ihnen.« Dann öffnet sie die Augen und sieht zu Sandro. »Sie wurden durch Übertragungsmagie gelenkt.«
     Ricarda, die nach wie vor neben mir steht und kurz schnieft, wirft jetzt Ainara einen amüsierten Blick zu. »Sie ist nicht nur eine Pinselbraut …«
     »Hehe, sondern auch voll die Hokuspokus-Tante!«, beende ich ihren Satz und kichere belustigt.
Ricarda zuckt abermals die Achseln, wackelt mit dem Kopf hin und her, dann grinst sie mich an. »Also dieses ganze Hexen-Gaga …« Sandro unterbricht sie, erhebt sich und fragt ungeduldig: »Was ist nun mit deiner Anspielung auf die neun toten Gegner?«
     »Ach ja.« Sie wird sofort wieder ernst und blickt zur Scheune uns gegenüber an der anderen Hofmauer. »Es gibt einen zehnten – und der lebt noch!«
     Einen zehnten? Meine Augen kullern mir fast aus dem Gesicht, als ich sie anstarre. Wow, ist das nicht super? ¿No es una buena noticia? Doch ich kenne Ricardas Sinnesgabe. Wenn sie sagt, da ist was, dann ist da was. Egal was. Oder wer. Also schließe ich die Augen und versuche, mich auf mein shafa zu konzentrieren. Mal sehen, ob ich auch was spüren kann.
     Mein ganzer Körper wird warm und fängt an, zu kribbeln. Als würde eine Ameisenarmee über ihn krabbeln. Toll, scheint zu funktionieren. Bin begeistert. Irgendwann wird das Kribbeln wieder schwächer und ich spüre sehr intensiv den warmen, festgestampften Sand unter meinen nackten Fußsohlen. Hab das Gefühl, als würde ich jeden Einzelnen der unzähligen Sandkörner wahrnehmen. Ich spüre das unscheinbar leichte Vibrieren der Bewegungen der Würmer, Käfer und der anderen Insekten im Boden. In etwa vier Fuß Tiefe zersetzen Würmer den Kadaver eines Kleinnagers. Spüre den nicht fühlbaren Wind in der Windstille, die Schwingungen, die von den Gebäuden um uns herum ausgehen. Alles ganz normal. Die Schwingungen des Wassers im Brunnen, die Flügelschwingen einzelner Vögel, die weit, sehr weit oben am wolkenlosen blauen Himmel ihre Kreise ziehen. Die völlig normalen Schwingungen, die von der Scheune neben uns herrühren. Die Schwingungen, Vibrationen und die Wärme der Körper meiner Freunde. Puls, Herzschlag, das Rauschen ihres Blutes, das Arbeiten ihrer Organe und der Verdauung ... na ja – igitt, ihr Atmen und die weniger intensiven, kalten Schwingungen der Leichen um uns … Moment mal … Scheune? Von dort geht ein ungewöhnliches Vibrieren aus, das die Harmonie des gleichmäßigen Flusses stört. Ich versuche, mich stärker auf die Disharmonie zu konzentrieren und sie aufzusaugen.
     »Da ist jemand in der Scheune und beobachtet uns!«
     Als ich die Augen wieder öffne, steht Sandro neben mir. Ricarda, die mir direkt gegenüber steht – und mich offenbar genau beobachtet hat –, verzieht nun ihre Lippen zu einem lebhaften Grinsen. »Egal, wer da drin steckt, treten wir ihm in den Arsch!«
     Neben ihr kniet Ainara immer noch auf dem Boden und krallt ihre Hände in den harten Sand. Sie hat die Augen wieder geschlossen – und dann erneut ihr unheimliches Brummen.
     »Was soll das werden?«, fragt Ricarda.
     »Schätze, das sind die Würmer«, antworte ich.
     »Würmer?«
     »Ja.« Ich grinse sie an. »Die ich auch vorhin unter meinen Füßen gespürt habe.«
     »Echt? Igitt!« Sie schüttelt sich und zieht eine Fratze. »Vielleicht solltest du bei deiner Gabe besser Schuhe tragen.«
     Ein Schauder legt sich auf meine Haut. »Meinst du das ernst? Wie der Patron?«
     »Jepp.«
     »Den ganzen Tag? Ich frag mich, wie man seine Füße so hassen kann, um ihnen diese Tortur anzutun.«
     Ricarda reagiert nicht darauf, sieht stattdessen wieder zu Ainara. »Wieso macht sie das?«
»Vielleicht ein Date?«
     Meine hermacarna starrt mich an und zieht eine Augenbraue in die Höhe. »Mit Würmern?«
     »Frag sie doch!«
     Sie will sich zu Ainara herunterbeugen, als ich sie beim Arm packe und sanft zurückziehe.           »Nicht jetzt! Nach ihrem … Date!«
     »Also echt.« Ricarda schüttelt ihren Kopf. »Hat sie keinen Freund?«
     »Ist nicht dasselbe.« Ich sehe zu der vor mir Knienden und grinse wieder. »Würmer sind eben …«
     »... ekliger?«
     »Kommt auf den Kerl an!«
     Ainaras Kopf schießt in die Höhe, ihre Augen bleiben geschlossen. »Mächtige Magie. Hmmmmm … Übertragungsmagie. Hmmmmm …«
     Ricarda kichert. »Klaro, mi pequeño caracol de azúcar. Los Line, komm! Arsch treten!«
     O Schöpfer, meint sie das ernst? Wenn von dem - egal wer oder vielleicht was es ist - in der Scheune mächtige Magie ausgeht …
     Ehe ich widersprechen kann, hat Ricarda ihren Kampdstab aus dem Beinhalfter gezogen, wirbelt den Griff kurz zwischen ihren Fingern herum und eilt zum Gebäude. Ich schnaube und wende mich zu Sandro. Ainara erhebt sich gerade und starrt Ricarda hinterher. Als er unentschlossen mit den Achseln zuckt, verdrehe ich die Augen, schüttle den Kopf und ergebe mich in mein Schicksal. Hab ich eine Wahl? Kann meine hermacarna ja nicht alleine in die Scheune stürmen lassen.
 
Ricarda steht hinter dem rechten, ich hinter dem linken Türpfeiler. Beide halten wir unsere Kampfstäbe in den Händen. Sie sind nicht ausgefahren, abgesehen von der vorderen stählernen Speerspitze. Ich halte den Atem an und lausche. Konzentriere mich auf mein shafa, bringe meine innere Mitte ins Gleichgewicht. Versuche, die Magie des Spürsinns zu nutzen. Um herauszufinden, wer sich in der Scheune befindet und wo er sich genau aufhält. Oder ‚was‘. Doch ich spüre rein gar nichts. Im Gegensatz zu vorhin ist mir nun, als würde hier in dem Gebäude noch nicht mal ein Wurm herumkrauchen. Kein Käfer, überhaupt nichts. Was unmöglich ist. Na toll. Verwirrt sehe ich zu Ricarda herüber, die offenbar gerade versucht, ihren Geruchssinn einzusetzen. Als sie sieht, dass ich sie beobachte, zuckt sie mit den Achseln und schüttelt den Kopf. Versucht da jemand, sich mit Magie zu tarnen, damit wir ihn nicht entdecken können? Um uns dann aus dem Hinterhalt heraus anzugreifen?
     Auf einmal hebt Ricarda den linken Arm, ohne das Gesicht von der Tür zu wenden, und gibt mir mit der taktischen Zeichensprache ein Achtungskommando. Dann sinkt ihre Hand herab und legt sich auf den Türknauf. Vorsichtig dreht sie ihn – ganz, ganz langsam – und drückt schließlich sacht gegen ihn. Mit einem leichten Quietschen gibt die Tür nach. Erschrocken halte ich den Atem an. Dieses verräterische Quietschen kommt mir wie ein megalautes Kreischen vor. Viel zu laut! Verdammt. Ich drücke meinen Kopf zwischen die Schultern und ziehe eine Grimasse.
     »Das hat sogar der Schöpfer und alle Götter da oben in der Wolkenfestung gehört!«, zische ich aus aufeinandergepressten Zähnen.
     Nachdem die Tür einen Spalt breit aufgeschwungen ist, kommt mein Kopf wieder zwischen den Schultern hervor und ich strecke ihn vorsichtig durch die Tür. Vorsichtig, ganz, ganz, vorsichtig, um einen Blick ins Innere zu erhaschen. Es ist recht dunkel und meine Augen brauchen eine Weile, bis sie sich daran gewöhnt haben. Ich blinzele mehrmals und erkenne bald Einzelheiten.
     Es handelt sich um einen Lagerraum. Die linke Hälfte des Raumes ist mit übereinandergestapelten Strohballen ausgefüllt. Rechts befinden sich Regale, die bis zur Decke reichen. Sie sind gefüllt mit unterschiedlich großen Krügen, Amphoren und anderen Gefäßen. Direkt vor uns stehen mannsgroße Kisten und Holzfässer.
     Ich ziehe den Kopf wieder zurück und gebe Ricarda ein paar Zeichen, damit sie sich bereit macht, als Ainara mitten zwischen uns hindurch in den Raum schwebt. Als würde sie schwimmen. Mit nach vorn gestreckten Armen und durchgestreckten Füßen schwimmt ... ääh, schwebt sie in Höhe meiner Schultern gemächlich an uns vorbei. Mit geschlossenen Augen gibt sie wieder dieses unheimliche Brummen von sich. Voll abgefahren. Und echt gruselig. Ehrlich.
     »Ainara, was soll das?«, zischt Ricarda, sieht zu mir und zuckt mit den Schultern. Fassungslos schüttelt sie den Kopf.
     Ohne lange zu überlegen springe ich auf die verrückte Hexe zu, packe eins ihrer Beine und ziehe sie zu mir zurück zur Tür. Ainara fällt neben meinen Füßen auf den Boden, quiekt und reißt die Augen auf.
     »Was sollte das denn?«, blafft sie mich an, springt hoch und zupft ihren BH zurecht, der etwas verrutscht ist und eine ihrer Brustwarzen entblößt.
     »Das fragst du uns?«, erwidert Ricarda und wieselt zu mir herüber. Dann kniet sie sich neben uns hin. »Bist du irre?«
     »Ich spüre Schwingungen!«, flötet Ainara wie zugedröhnt, hebt die Arme und zeigt mit völlig verklärtem Ausdruck in den Raum. Echt jetzt, das Gras, das sie geraucht hat, muss voll der Hammer sein!
     »Klar«, entgegnet Ricarda und springt hoch. Dann holt sie mit der Hand aus. »Bei der Seya, diesen Schwinger wirst du wirklich gleich ...«
     Schnell packe ich ihren Arm und blitze meine hermacarna an. Widerwillig lässt sie von ihrem Vorhaben ab, stößt geräuschvoll den Atem aus und senkt die Hand. Nun wende ich mich an Ainara. »Diese ... Schwingungen, werden die von jemandem ausgesandt?«
     Die Hexe erhebt sich, schließt erneut die Augen und scheint sich zu konzentrieren. »Ja. Aber ... nun sind sie weg.« Als sie die Augen wieder geöffnet hat, blickt sie zu Ricarda und schnaubt wütend.
     Ich stelle mich breitbeinig hin und schließe nun selber die Augen. Gehe in mich. Konzentriere die Atmung und zentriere meinen Geist. Dann lege ich meine Sinne in die Außenwelt, um den Spürsinn zu nutzen. Spüre den Boden unter den nackten Füßen, die Wärme und die Faserung des Holzes. In meinen Fußsohlen fängt es an zu kribbeln und zu vibrieren. Ich spüre jede einzelne Faser, ein Wurm, der sich Hindurchbort. Pilzsporen, die ...
     »Hat kein Sinn, Schätzchen!«
     Ainaras Stimme schießt mir wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht. Whums. Ich stürze einen Schritt zur Seite – und taumle.
     »Unsere Magie wird blockiert!«
     Ricarda ist zu mir geeilt und legt jetzt ihre Arme um mich. Hilft mir, mein Gleichgewicht zurückzugewinnen. Verflixt, das hätte nicht passieren dürfen! Ainaras Stimme hätte mir nicht so einen Schlag versetzen dürfen. Algo así no es nada bueno. Ich bin als Jaguar-Kriegerin vielleicht eine recht gute Kämpferin, aber was die Magie angeht, da bin ich immer noch wie eine tollpatschige Anfängerin. Echt.  Ich kämpfe lieber mit realen Waffen – oder eben ohne –, als mit solch magischem Hokuspokus.
     »Blockiert?« Ricarda sieht die Hexe an und runzelt die Stirn. Dann lässt sie mich los und blickt sich in dem Raum um. »Ist ja blöde!«
     Mit unseren Waffen in den Händen betreten wir vorsichtig und auf Zehenspitzen   den Lagerraum. Wir verteilen uns und versuchen dabei nahe an Kisten und Strohballen zu bleiben, die uns im  Ernstfall Deckung bieten. Ricarda und ich wenden uns den Regalreihen  zu und schreiten die schmalen Gänge ab, die sie bilden. Dort, wo ein Regal endet, fängt das andere an. Sie stehen allerdings nicht alle nebeneinander, oft sehr verwinkelt. Bilden fast schon ein kleines Labyrinth. Viele der Krüge, Amphoren und Kisten, die sich in den Regalen befinden, sind mit einer dicken Staubschicht bedeckt, was mich ein wenig verwundert.
     »Boing. Ende der Wanderschaft!«
     Das war Ricarda, die einem  anderen Regalgang, etwa fünf Schritt von mir entfernt, folgt.
     »Was hast du?«
     »Wand.«, erwidert sie.
     Ich versuche, mir durch das Labyrinth einen Weg zu meiner hermacarna zu bahnen, und einen Augenblick später stehe ich neben ihr. Sie hat recht. Der Gang endet an einer Wand, an der ein mannshohes Gemälde hängt.
     »Hübsches Bildchen, wa?« Ricarda zieht die Mundwinkel in die Breite und legt den Kopf schräg. »Aber ich mag diese blöden Götterbilder nicht.«
     Ich sehe mir das Gemälde genauer an. Links steht der Gott Todor als überlebensgroße Gestalt mit ausgestrecktem rechten Arm. Er zeigt auf die Reihen der Krieger eines unbekannten Clans, die mit gezogenen Schwertern und angelegten Bögen den Angriff der Gotteskrieger erwarten, die der Todor in die Schlacht führt. Über den Wolken reiten die Sturmreiterinnen, die jinecomba, darauf wartend, die gefallenen Krieger, die ein ehrenvolles Leben geführt haben, zur Wolkenfestung nubles fortaleza zu geleiten. Eben eins dieser vielen Gemälde über die Götter, die überall rumhängen.
     Mein Blick wendet sich von dieser Ölmalerei ab und schweift über den Rahmen. Es ist gewöhnliches braunbemaltes Holz. Doch ohne meine Sinne einsetzen zu müssen, spüre ich etwas Ungewöhnliches.
     »Was hast du?«, fragt mich Ricarda und sieht mich mit gerunzelter Stirn an. »Stimmt was nicht?«
Ich hebe meine rechte Hand und lege sie direkt auf den Teil der Rahmenleiste vor mir. Meine Finger streifen über das mit einfachen Mustern beschnitzte Holz, weiter, weiter ... Plötzlich ertaste ich eine winzige Vertiefung, die zwar münzengroß ist, aber nur haarbreit in das Holz hineinreicht, und die man mit bloßem Auge nicht sieht. Ist ja abgefahren! Was das wohl zu bedeuten hat? Als ich mit zwei Fingern stärker auf die Vertiefung drücke, höre ich ein leises Klicken.
     »Was war das?« Ricardas Kopf zuckt zurück. Ich selber halte den Atem an und trete einen Schritt zur Seite.
     Nun geht Ricarda ganz nah an den Rahmen heran, legt beide Hände an und fährt mit den Fingern den Übergang des Rahmens zur Wand ab. Nach oben, nach unten, dann wieder hoch und tastet über die Querleiste. Schließlich ist sie am rechten Teil angelangt. Sie schließt die Augen, streicht mit den Fingern entlang und ... »Da ist ein winziger Spalt.«
     Sie umgreift mit beiden Händen die Rahmenleiste und als sie an ihr zieht, dreht sich das Gemälde und öffnet sich wie eine Tür. Das Quietschen der Angeln, die sich im Inneren befinden und von außen nicht zu sehen sind, lockt die anderen beiden an, die dann kurze Zeit später neben uns stehen.
     »Was ist denn das?«, staune ich mit großen Augen, während Ricarda das Gemälde, oder besser die Geheimtür, vollständig aufzieht und modriger Geruch zu uns dringt.

--- Ende der Leseprobe. Wie es weitergeht, könnt ihr lesen, wenn ihr euch den Roman kauft, sobald er veröffentlicht ist. ---

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